Vor 30 Jahren, am 14. Januar 1983, verstarb der weltbekannte Entomologe und Ehrenbürger der Stadt Zehdenick Dr. Ernst Urbahn. Nur einen Tag später folgte ihm seine Frau, Vertraute und
Mitarbeiterin Herta durch Freitod nach. Beide haben die Naturschutzarbeit nach 1945 in unserer Region nachhaltig geprägt. Die GRÜNE LIGA Oberhavel wird am Montag um 10.00 Uhr an der
Grabstätte der Familie Urbahn auf dem Zehdenicker Friedhof ein Gebinde ablegen um den Naturschützern gedenken. Lotte Kiesel (91) aus Zehdenick hat uns gebeten, den beigefügten Artikel zur
Veröffentlichung mitzusenden. Die Familie Kiesel gehörte zu den engsten Vertrauten, Mitarbeitern und Freunden des Ehepaares Urbahn. Aus einer anfänglichen Fahrgemeinschaft – Ernst Kiesel hatte
ein Auto, interessierte sich für Entomologie und sammelte selbst Schmetterlinge – zu den Tag- und Nachtfängen, entwickelte sich eine enge Freundschaft beider Familien. So gab es gemeinsame
Exkursionen am Wochenende in die Zehdenicker Umgebung, aber auch längere Fahrten, wie z.B. zur Landeslehrstätte Müritzhof in Mecklenburg, die schon 14 Tage dauerten. Herta und Ernst, beide
Urbahns waren begnadete Kenner unserer heimischen Flora und Fauna, weit über ihr Fachgebiet der Schmetterlingsforschung hinaus, und sie gaben ihr Wissen gern an andere Interessierte weiter. Nicht
nur harte Arbeit prägte ihr Leben, legendär waren auch die jährlichen Kostümbälle des Kulturbundes in der Gaststätte Berlin in Zehdenick. Urbahns überraschten die anwesenden Natur- und
Heimatfreunde alljährlich mit neuen, originellen Kostümen. Vieles ließe sich an dieser Stelle noch berichten. Doch dazu vielleicht später mehr, Lotte Kiesel hat die Stationen im Leben der Familie
Urbahn in ihrem Artikel umrissen.
Norbert Wilke GRÜNE LIGA Oberhavel e.V.
Erinnerung an Doktor Ernst Urbahn und seine Frau Herta
Ernst Urbahn wurde am 7.4.1888 (im Dreikaiserjahr) in Zehdenick in der jetzigen Dammhaststraße Nr.31 in einer alteingesessenen bürgerlichen Familie geboren. Sein Vater war Holzhändler und kaufte
das Hausgrundstück Poststraße 15 um 1900, welches an der Havel liegt. Mit seiner Schwester Emmi, die sich später als Malerin von Blumen auszeichnete, durfte Ernst eine frohe Kindheit verleben.
Sein Vater und dessen Brüder weckten schon früh sein Interesse für Schmetterlinge, so daß er schon mit sieben Jahren selbst sammelte. Nach dem Besuch der Bürgerschule absolvierte er das
Gymnasium "Carolinum" in Neustrelitz und studierte anschließend in Heidelberg, Berlin und Jena Biologie, Physik, Erdkunde und Mathematik. Seine Doktorarbeit von 1913 trägt den Titel: "Abdominale
Duftorgane bei weiblichen Schmetterlingen". (d. h. am Bauch befindliche), die er mit magna cum laude (mit großem Lob) abschloß. 1914 legte er sein Staatsexamen ebenfalls mit Auszeichnung ab. Von
1914 -16 war er in Brandenburg/Havel im Schuldienst tätig, wo seine spätere Frau Herta seine Schülerin war. Ihr Vater war dort Stadtbaumeister. Anschließend erhielt Dr. Urbahn eine
Anstellung als Oberlehrer in Schwiebus und ab 1. Juli 1920 in Stettin, so daß sie anschließend heiraten konnten. Es entstand in etwa 20jähriger, gemeinsamer Arbeit das Standardwerk: ,,Die
Schmetterlinge Pommerns". Ihre Ferien und Wochenenden entsprachen damit Arbeitsurlauben, die schriftlichen Arbeiten erledigte Frau Herta. Kinder hatten sie nicht. 1927 übernahm Dr. Urbahn
ehrenamtlich die Schriftleitung der "Entomologischen Nachrichten Deutschlands." In Stettin schufen sie eine umfangreiche und akkurate Schmetterlingssammlung, welche sich dort im Museum befand und
1945 durch Brand vernichtet sein soll. Sie soll aber auch in Warschau in einem Museum gesichtet worden sein. Sie haben öfter schriftlich recherchiert, aber aus Polen keine Antwort
bekommen. Im Krieg waren sie mit anderen Schulklassen im Rahmen der Kinderlandverschickung 3 Jahre auf Rügen, denn die Luftangriffe wurden immer schlimmer. Nach dem Zusammenbruch 1945
standen sie in Stettin vor dem Nichts, versuchten aber trotzdem, weiterzuarbeiten. Als sie unter polnischer Regierung als Deutsche keine Lebensmittelkarten bekamen, machten sie sich im Spätsommer
1945 mit einem selbstgebauten Wägelchen auf den Weg nach Zehdenick, denn Zugverkehr bestand nun nicht mehr und verhungern wollten sie nicht. Auf dem Heimweg stellte er sich in Templin seiner
Schulbehörde zur Verfügung, beide begannen daneben trotz ihres Alters und aller Widrigkeiten der Nachkriegszeit, eine neue Schmetterlingssammlung aufzubauen. Die war an ihrem Lebensende 2.500
Arten (!) angewachsen und wurde von ihnen dem Naturkundemuseum in Berlin vererbt. Befördert wurde Dr. Urbahn in der Nazizeit und der DDR nicht, weil er kein Parteigenosse war. In-und ausländische
Ehrungen wurden ihm zuteil, denn sie hatten 185 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die in Fachkreisen große Beachtung fanden. Mit der Leibniz Medaille wurde ihm die höchste Ehrung der
Akademie der Wissenschaften der DDR zuteil, aber man erschwerte ihnen auf jede Weise die Teilnahme an internationalen Kongressen, obwohl sie längst im Rentenalter waren. Zu einem Kongreß in der
Schweiz wurden ihnen 5,-DDR Mark pro Person 1:1 umgetauscht, im Jahr darauf wurde ihnen die Teilnahme an einem solchen Kongreß in Wien sogar ohne jede Begründung verweigert. Nicht einmal ein
Telefon wurde ihnen in der DDR zugestanden, obwohl er Ehrenbürger unserer Stadt geworden war. Über diese Ehrung hat er sich besonders gefreut, wenn sie auch beide über die unbegreiflichen
Schikanen vorn Staat oft verärgert waren. Getragen hat er seine Orden nicht.
Urbahns haben mit Dr. Hans-Joachim Bormeister 35 Jahre lang im Kulturbund der DDR naturwissenschaftliche Vorträge, Exkursionen etc. in unserer Gruppe Natur- und Heimatfreunde organisiert. Weitere
Referenten und Helfer fanden sich im Lauf der Jahre. Mein Mann Ernst Kiesel war auch einer von ihnen. Ich kann mit Stolz berichten, daß es uns damals gelungen ist, eine politische Durchdringung
unserer Gruppe abzuwehren. Wie schwierig das in der DDR war, kann man sich heute kaum vorstellen. Die Natur- und Heimatfreunde existieren sogar heute noch. Trotz ihrer Altersbeschwerden waren
Herta und Ernst Urbahn bis zu seinem Ableben am 14.1.1983 aktiv. Frau Herta war 12 Jahre jünger als er. Sie folgte ihm in der Nacht darauf freiwillig in den Tod. Eine Erinnerungstafel haben
wir vom Kulturbund an seinem Elternhaus in der Poststraße anbringen lassen, und eine Straße ist in Zehdenick/Nord nach ihm benannt worden. Am 14. und 15. Januar jährt sich zum dreißigsten
Mal ihr Todesdatum. Wir gedenken ihrer in Liebe und Hochachtung.
Lotte Kiesel, Zehdenick (Januar 2013)